Die Frage bewegt viele Menschen, die davon ausgehen, dass es einen lebendigen Gott gibt: Wird ER, vor dem alle einmal Rechenschaft ablegen müssen, Deutschland noch einmal richten für das unfassbar Schreckliche, das dem jüdischen Volk in der Schoah angetan wurde?
Das bewegt auch meinen Freund, auf dessen Mail ich mit den Artikeln über Wiedergutmachung und die „Gnade des Holocaust“ eine Antwort zu finden suchte. Er persönlich geht davon aus, „dass da vor Gott für unser Land noch etwas offen ist“, und vertritt „die These, dass Deutschland insgesamt nicht ausreichend Buße getan hat.“
Wer über Gericht redet, zeigt, dass er Gott ernst nimmt.
Zuerst einmal finde ich gut, dass wir über dieses Thema reden. Das zeigt, dass wir den lebendigen Gott und Sein Wort ernstnehmen; dass wir nicht einfach nur erwarten, dass Er sich gefälligst unseren modern-humanistischen oder gar post-modernen Erwartungen und Gefühlen unterzuordnen hat, als seien die allein maßgebend.
Die Bibel ist eindeutig in ihrer Aussage, dass der Schöpfer des Himmels und der Erde uns Menschen als Gegenüber ernst nimmt. Konkret bedeutet das, dass Er uns als Einzelpersonen, aber auch als Kollektiv richten wird. Jeder von uns muss „vor dem Richterstuhl Gottes offenbar werden“ – und Gott wird die Völker richten.
Sodann wäre aber wichtig, dass wir unsere bewusst oder unbewusst gepflegten Gottesbilder auf den Prüfstand stellen. Nicht zuletzt deshalb ist ein offener Austausch über dieses Thema wichtig.
Haben wir den Gott der Bibel vor Augen?
Der Gott der Bibel ist weder Zeus noch Jupiter, der ausrastet und mit Blitzen oder Hagel um sich wirft, wenn etwas nicht nach seiner Vorstellung verläuft. Er ist auch nicht Odin, der grollend donnert, wenn er sich vergessen fühlt. Und schon gar nicht Hermes oder Pan, der sich schmollend zurückzieht, wenn jemand nicht nach seiner Flöte tanzt.
Auch wenn das wehtun sollte: Wir sollten unsere heidnischen Gottesvorstellungen als solche erkennen und benennen. Gott ist kein hungriger Drache, der mit Opfern gefüttert oder durch „ausreichend Buße“ befriedigt werden müsste. Nicht jede Einzelheit mittelalterlicher Darstellungen von Hölle oder Weltgericht ist biblisch.
In der Bibel offenbart sich der Schöpfer des Universums als Vater Israels. Er macht mit dieser Welt Geschichte, spürt das Seufzen Seiner Geschöpfe und arbeitet an einer Antwort auf das sehnsüchtige Hoffen der Schöpfung.
Die Bibel bezeugt, dass Er selbst am allermeisten selbst unter den Folgen der Rebellion von Menschen gegen Ihn leidet – aber trotzdem mit großer Gewissheit einen neuen Himmel und eine neue Erde in Aussicht stellt, in der es kein Leid und kein Geschrei, keinen Krieg und keinen Tod mehr geben wird. Um dieses Ziel zu erreichen, ist Ihm kein Opfer zu groß, kein Schmerz zu schmerzhaft. ER wird jede Träne abwischen.
Nicht jedes schmerzhafte Erleben ist Gericht Gottes.
So manche Krankheit, mancher Krieg und selbst Umweltkatastrophen mögen schlicht die Konsequenz von verantwortungslosem Handeln oder gar offener Auflehnung von Geschöpfen gegen den Schöpfer und Seine Ordnungen sein.
Wenn Psalm 8 davon singt, dass der Herr den Menschen nur „wenig niedriger als Gott“ gemacht, „ihn mit Ehre und Adel gekrönt“, „ihn zum Herrscher“ über seiner Hände Werk gemacht und „alles (!) unter seine Füße gesetzt hat“, dann bezeugt das ein atemberaubendes Zutrauen des lebendigen Gottes zu dem Geschöpf, das ER zu Seinem Bild, in Seiner Ähnlichkeit geschaffen und zu Seinem Stellvertreter in dieser Welt bestimmt hat. Dann weist das aber auch auf eine nur selten erwähnte Verantwortung, die uns Menschen auferlegt ist.
Antisemitismus ist eine existentielle Gefährdung für jeden Antisemiten
Der Zustand deutscher Städte 1945 ist genauso wie die Grenzentwicklungen Deutschlands – aus dem Blickwinkel der Heiligen Schrift – schlicht logische und vorhergesagte Konsequenz dessen, dass sich eine ganze Nation die Vernichtung des jüdischen Volkes auf die Fahnen geschrieben hatte.
Bislang war es immer so: Ganz gleich, ob sich Judäophobie als Antijudaismus, Antisemitismus oder Antizionismus geäußert hat, letztendlich vernichtet diese Seuche immer denjenigen, der sie beherbergt. Noch nie ist es ihr auch nur annähernd gelungen, das Volk Israel existentiell zu gefährden. Immer – um im biblischen Bild zu bleiben – hing letztendlich Haman an dem Galgen, den er für Mordechai hatte aufrichten lassen. Diesen schlichten Kausalzusammenhänge möchte ich gerne hineinschreien in unsere Welt.
Ein Verbrechen gegen die Herrlichkeitsgegenwart Gottes
Aus Sicht der Bibel ist das eigentlich Schreckliche am Vorgehen Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allerdings nicht die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die während des Zweiten Weltkriegs und vor allem im Holocaust begangen wurden, sondern das Verbrechen gegen Gott selbst. Mit dem Experiment einer „Endlösung der Judenfrage“ haben wir Deutschen uns an der Herrlichkeitsgegenwart des einen, wahren, lebendigen Gottes vergriffen.
Dass das so nur ganz selten in Worte gefasst wird, hilft weder einen Schlussstrich zu ziehen, noch schafft es die eindeutigen Aussagen der Heiligen Schrift aus der Welt. Welche Folgen diese geistliche Dimension deutscher Verbrechen hat, wird sich wohl erst mit einem größeren Abstand beurteilen lassen. Blindheit, Taubheit und überhaupt eine Unfähigkeit zur geistlichen Sensibilität gehören ganz bestimmt dazu.
Ob Gott das richten wird…???
…weiß ich nicht. Aber ich wünsche es mir!
Wenn der Schöpfer, den uns die Bibel offenbart, richtet, dann bedeutet das immer eine Chance. Das zeigen alle Gerichtsberichte, angefangen von der Vertreibung aus dem Garten Eden, die darauf abzielte „den Weg zum Baum des Lebens zu bewahren“, offen zu halten; über die Katastrophe von Sodom und Gomorra, vor der sich der Herr auf einen wahrhaft orientalischen Kuhhandel mit Abraham einließ; bis hin zur Gerichtsankündigung für Ninive, bei der Gott in Kauf nahm, dass Er selbst und sein Prophet mit falschen Vorhersagen stehen blieben.
Durch die ganze Heilige Schrift hindurch ist klar, dass der Vater im Himmel nicht Gefallen hat am Tod dessen, der das Ziel verfehlt. Wenn der lebendige Gott sein Geschöpf liebt, dann korrigiert Er es. Und dann ist dieses Disziplinieren immer gut – auch wenn es furchtbar schmerzhaft sein sollte.
Gericht ist Gnade, weil es nicht in erster Linie aufs Hinrichten ausgerichtet ist, sondern aufs Zurichten, aufs Ausrichten und aufs Aufrichten. Das hatte schon der König David erkannt. Als er mit den unvermeidbaren Folgen seines Handelns konfrontiert wurde, bat er darum, in die Hände des lebendigen Gottes fallen zu dürfen.
Schrecklicher als Gericht
Unvergleichbar schlimmer als die richtende Zuwendung Gottes ist, wenn Er sich abwendet, Sein Angesicht verbirgt, wenn er „dahingibt“ – wie das in der zweiten Hälfte des ersten Kapitels von Paulus‘ Brief an die Gemeinde in Rom beschrieben ist.
Wenn Menschen ihren Reichtum an Begabungen, an Geld, an Zeit und Freiheit in keiner Weise sinnvoll einsetzen können, weder für sich selbst noch für andere, kann das schrecklicher sein, als Gericht Gottes.
Stellen Sie sich vor, was es bedeuten könnte, wenn die Deutschen, die sich wirklich danach sehnen, pazifistisch zu sein und niemandem zu schaden, eines Tages feststellen müssen, dass sie mit den Geldern, die sie für Entwicklungshilfe in aller Welt ausgegeben haben, grausam korrupte Machthaber unterstützt und Terrorismus finanziert haben; wenn sie plötzlich mit der Tatsache konfrontiert werden, dass es nicht ausreichte, eine nicht wirklich funktionierende Armee zu haben, sondern dass sie als einer der größten Produzenten und Exporteure von Rüstungsgütern zu denjenigen gehören, die für die Unterdrückung, das Leiden und die Ermordung von Millionen Menschen in der Welt hauptverantwortlich sind.
Man bedenke, was die Milliarden bezeugen, die Deutschland jedes Jahr an Erbschaftssteuer einnimmt. Wie viele Schicksale bettelarmer, verzweifelter Menschen verbergen sich dahinter, die mit fetten Pensionskassen – die Bibel spricht von „vollen Scheunen“ – diese Welt verlassen müssen und niemals das Vorrecht hatten, andere mit ihrem Reichtum glücklich zu machen.
Wohlstand kann Fluch sein und Gericht ist Gnade. Das stand mir deutlich vor Augen, als ich einen Blick tun durfte in das Herz eines verzweifelten Vaters. Er lag vor unserem himmlischen Vater auf den Knien und kämpfte um sein Kind. Dabei war seine größte Sorge: „Und was ist, wenn der verlorene Sohn so viel Geld hat, dass er niemals bei den Schweinen landen wird?“